Zwischen Frost und Fahrplan: Der Einfluss des ersten Schnees auf den Bahnbetrieb
Was Kinderaugen leuchten lässt, wird für viele Pendler:innen häufig zur Geduldsprobe: der erste Schnee. Oft sorgt er für Verspätungen, Zugausfälle oder verpasste Anschlüsse. Warum bringt die weisse Pracht den Bahnverkehr Winter für Winter aus dem Takt?
Text: Olivia Meier

Obwohl darüber gerne gewitzelt wird: Die Bahnwelt wird vom Winter nicht überrascht. Thurbo prüft im Herbst, ob die Fahrzeuge fit für den Winter sind. Getestet werden zum Beispiel die Heizungen im Führerstand und Fahrgastraum sowie die Heizungen der Kupplungen am Anfang und Ende eines Zuges, damit diese nicht einfrieren und kein Schnee das An- und Abkuppeln weiterer Fahrzeuge verhindert.
Bei der SBB beginnen die Vorbereitungen sogar bereits im Frühling. Denn viele Herausforderungen, die der Schnee mit sich bringt, muss nicht Thurbo, sondern die SBB bewältigen. Zum Beispiel nutzt Thurbo als Tochtergesellschaft der SBB deren Bahninfrastruktur. Und diese ist im Winter anfällig für Probleme:
- Gleise: Die Schneemassen müssen mit speziellen Winterdienst-Fahrzeugen von den Gleisen geräumt werden.
- Weichen: Viele Weichen sind mit Heizungen ausgestattet. Fehlen diese oder fallen sie wegen starken Schneefalls oder klirrender Kälte aus, müssen sie manuell von Schnee und Eis befreit werden.
- Fahrbahn/Fahrleitungen: Durch die Schneelast umgestürzte Bäume können die Fahrbahn blockieren oder Fahrleitungen beschädigen.
- Bahnhöfe: Perrons, Treppen sowie Ein- und Ausgänge müssen geräumt, enteist und gesalzen werden.
Viel Arbeit hinter den Kulissen
6.30 Uhr: Der Wecker klingelt. Ein Blick aus dem Fenster zeigt: Die Prognosen waren richtig, es liegt eine Menge Neuschnee. Der Griff zum Handy bestätigt Ihre Befürchtungen. Ihr üblicher Zug fällt aus, der nächste hat bereits 10 Minuten Verspätung.
Während sich die meisten unserer Fahrgäste erst aus dem Bett schälen, wird in der Disposition von Thurbo schon auf Hochtouren gearbeitet (Arbeitsbeginn Frühschicht: 3.15 Uhr). Im Gegensatz zur Infrastruktur ist es für «die Dispo» schwierig, sich auf den Schnee vorzubereiten. «Wir können keinem Konzept folgen, es gibt keine Checkliste, die man abarbeiten kann», meint Michel Schnetzler, Leiter der Thurbo Disposition. «Zwar sammeln wir mit jedem Winter weitere Erfahrungswerte, aber am Tag X müssen wir immer situativ reagieren.»
Einzige Vorbereitungsmassnahme: Bei starkem Schneefall sind mehr Disponent:innen im Einsatz als sonst. «Unter der Woche ist die Dispo jeweils gleichzeitig mit drei Disponent:innen besetzt, am Wochenende mit zwei. Bei Schneefall sind es drei bis vier zusätzliche Personen – und es reicht noch nicht», ordnet Michel Schnetzler ein.

«Die Thurbo Disposition muss bei Schnee situativ reagieren.»
Michel Schnetzler
Leiter Disposition Thurbo
Die zusätzliche Arbeitskraft wird dringend gebraucht. Denn wenn es stark schneit, kommt es auf dem gesamten Thurbo Streckengebiet zu Störungen. «Unsere Züge sind eng getaktet. Eine Störung wirkt sich schnell auf andere Verbindungen und schliesslich auf das ganze Netz aus», erklärt Schnetzler.
Diese Störungen werden der Dispo einerseits über die SBB Betriebszentrale gemeldet, andererseits melden sich Thurbo Lokführer:innen direkt bei den Dispo-Mitarbeiter:innen mit Störungsmeldungen oder Fragen.
Nun heisst es Ruhe bewahren und sich einen Überblick verschaffen: Welche Fahrzeuge sind noch einsatzbereit, welche Lokführer:innen stehen zur Verfügung und wo können diese eingesetzt werden? Michel Schnetzler: «Die Hauptaufgabe der Dispo ist es, den Betrieb bestmöglich aufrechtzuerhalten.»
Mehr Schnee, mehr Fahrgäste
8 Uhr: Sie haben sich durch den Schnee an den Bahnhof gekämpft. Eingemummelt in dicke Winterjacken warten deutlich mehr Fahrgäste als sonst am Perron.
Viele Pendler:innen wechseln bei Schneefall vom Auto zum Zug, weil auf den Strassen Chaos herrscht. Mehr Fahrgäste bedeuten längere Aus- und Einstiegszeiten – auch weil sich viele vor dem Einsteigen vorbildlich den Schnee von den Schuhen klopfen.

«Unsere Lokführer:innen passen ihr Fahrverhalten den winterlichen Verhältnissen an.»
Daniel Fust
Leiter Lokpersonal Thurbo
Zudem kämpfen die Lokführer:innen im Winter mit ähnlichen Problemen wie Autofahrer:innen: «Das Fahrzeug ist eingeschneit, die Frontscheibe muss enteist werden, wenn während der Fahrt Schnee aufgewirbelt wurde, der sich auf dem Führerstandsfenster angesammelt hat», erklärt Daniel Fust, Leiter Lokpersonal bei Thurbo.
«Im schlimmsten Fall ist der Schnee so schwer, dass der Stromabnehmer auf dem Dach des Zuges heruntergedrückt und von der Fahrleitung getrennt wird. Da hilft nur noch eins: Warten, bis der Schnee auf dem Stromabnehmer schmilzt oder das Fahrzeug in eine warme Halle abschleppen.»
Auch bei der Fahrweise gibt’s Parallelen zum Strassenverkehr: Es braucht im Winter viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung. «Unsere Lokführer:innen können weniger schnell beschleunigen und fahren defensiver, da der Bremsweg bei verschneiten oder vereisten Schienen länger wird», erklärt Daniel Fust.
17 Uhr: Ihr Arbeitstag neigt sich dem Ende zu. Sie checken den Online-Fahrplan. Ihre Verbindung fährt bereits wieder wie gewohnt.
Zahlreiche Personen sind tagtäglich im Einsatz, damit Sie sicher und pünktlich an Ihr Ziel kommen. Fällt viel Schnee, sind Verspätungen oder gar Zugausfälle trotz aller Vorbereitungsmassnahmen und viel Engagement des Personals oftmals unvermeidbar. Thurbo empfiehlt: Bei Schnee mehr Reisezeit einplanen, den Online- Fahrplan unter sbb.ch prüfen und Push-Meldungen für Ihre Pendlerstrecke in der SBB Mobile App einrichten.










