SBB Ausbildungschefin über die Schulung erfahrener Lokführer: «Das sind echte Cowboys»

Petra Rüttimann übergibt als SBB-Ausbildungsverantwortliche indirekt dem Personal das Rüstzeug, dass es die neuen Flirt Evo Züge fahren, betreiben und warten kann. Sie freut sich auf die neuen Fahrzeuge, doch etwas lässt sie wehmütig werden.

Interview: Timon Kobelt

Petra Rüttimann grüsst einen Lokführer.
Indirekt sorgt Petra Rüttimann dafür, dass das Thurbo Lokpersonal den Umgang mit dem neuen Flirt Evo erlernt. Bild: Thurbo AG

Sie kümmert sich um die Menschen. Petra Rüttimann arbeitet im HR der SBB und innerhalb des Zugbeschaffungsvorhabens Flirt Evo im Teilprojekt Betriebseinführung, mit der die Fahrzeuge erfolgreich dem Betrieb übergeben werden sollen. Das heisst, dass die Fahrzeuge getestet, die Leute ausgebildet und die Instandhaltungsanlagen mit den nötigen Hilfsmitteln und Komponenten ausgerüstet sind.

Was technisch klingt, hat eine sehr persönliche Note: Petra Rüttimann koordiniert als Ausbildungsverantwortliche die Zusammenarbeit unter dem Lieferanten Stadler sowie den drei Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) SBB, RegionAlps (Wallis) sowie Thurbo, welche gemeinsam 296 Regionalzüge vom Typ Flirt Evo beschaffen.
 

Petra Rüttimann, beim Projekt Flirt Evo faszinieren vor allem die Züge, also die Maschinen. Wie wichtig ist der Faktor Mensch bei einem solchen Vorhaben?
PR: Ohne die Menschen kann die Maschine weder gefahren, gereinigt noch instand gehalten werden. Für mich stehen die Menschen, also Ausbildner wie Auszubildende, immer im Mittelpunkt. Jemand muss bei einem technischen Projekt ab und an wieder einbringen, dass wir unsere Arbeiten für die Leute, welche mit der Maschine arbeiten, durchführen. Dieser Jemand bin ich. (lacht)

 

Spannende Personen treffen Sie in Ihrer Funktion wohl regelmässig.
PR: In der Tat. Langjährige Lokführer:innen fallen zum Beispiel in diese Kategorie. So wurden einige erfahrene Thurbo Lokführer bereits von Stadler auf dem neuen Fahrzeug instruiert, sie haben die ersten Testfahrten mit dem Flirt Evo absolviert. Das sind für mich richtige Cowboys, welche ohne Scheu einfach mal losreiten.

 

Bilden die jeweiligen EVU ihre Leute selbstständig aus?
PR: Weitgehend schon. Dafür setze ich mich auch ein. Thurbo kann als eigenständiges EVU ein eigenes Ausbildungsprogramm auf die Beine stellen. Damit sie die Ausbildung des eigenen Lokpersonals vollständig entwickeln können, werden im August zunächst die Schulungsverantwortlichen von Thurbo durch Stadler ausgebildet.

Ich freue mich auf den Flirt Evo, gleichzeitig werde ich die GTW von Thurbo vermissen. Wir haben sie früher liebevoll ‹Bluemechischtli› genannt.

Petra Rüttimann, SBB Ausbildungsverantwortliche im Projekt Flirt Evo

Thurbo bildet ihre Lokführer:innen also selber aus, die ersten im November 2025. Dabei variiert die Dauer der Ausbildung zwischen ein und zwei Tagen – abhängig von den Vorkenntnissen der Lokführer:innen in Bezug auf andere Fahrzeuge. Da die Thurbo Flotte bis Ende der 2030er-Jahre etappenweise ersetzt wird, wird auch das Lokpersonal an den acht Depotstandorten von Thurbo zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschult.

 

Worüber stimmen Sie sich mit den EVU in der Ausbildung ab?
PR: Ich muss die Bedürfnisse der EVU gut kennen. Was braucht zum Beispiel Thurbo von Stadler für die Schulungen? Häufig wird ein zusätzliches Fahrzeug benötigt, um Rangiermanöver mit dem An- und Abhängen einer weiteren Zugkomposition zu üben. Im Vertrag war vorgesehen, dass RegionAlps und Thurbo die Betriebseinführung der Fahrzeuge gleichzeitig abhalten. Doch dafür haben wir zu wenig Züge. Solche Themen muss ich im Auge behalten. Zum Glück ist die Bildung flexibler als die Technik. Wir können leichter umplanen, während die Prozesse in der Technik strikter durchgetaktet sind.

 

In welchen Momenten wird der Faktor Mensch spürbar?
PR: Wenn zum Beispiel die Lokführer:innen das erste Mal auf dem neuen Zug sind. Ein neues Fahrzeug ist faszinierend, doch die Faszination kommt erst mit menschlicher Emotion. Ich spüre unter dem Lokpersonal richtiggehend ein Kribbeln, wenn es den Führerstand erkundet. Damit diese positive Stimmung anhält, muss auch die Ausbildung gut vorbereitet und attraktiv sein. Das beginnt mit den ersten Instruktionen durch Stadler und soll in den Schulungen der EVU eine Fortsetzung finden. Ansonsten folgt auf die Euphorie schnell Ernüchterung.

Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit Thurbo im Projekt Flirt Evo?
PR: Ich empfinde sie als ein echtes Miteinander. Die Zusammenarbeit ist jederzeit offen und konstruktiv, der Austausch lösungsorientiert. Vielleicht hilft es mir, dass ich in der Ostschweiz und somit im Thurbo Land aufgewachsen bin. Übrigens habe ich beim ganzen Projekt einen Wermutstropfen.

 

Tatsächlich, welchen?
PR: Zwar freue ich mich, dass Thurbo einen modernen Regionalzug bekommt. Doch die aktuellen Gelenktriebwagen (GTW) werde ich schon ein wenig vermissen. Ich habe den Wechsel der Seelinie S1 von der SBB zu Thurbo noch während meiner Zeit als Bahnbetriebsdisponentin miterlebt. Wir nannten die GTW liebevoll «Bluemechischtli». Aber die Flirt Evo von Thurbo sind zum Glück ebenso farbenfroh wie die GTW.

Neuer Thurbo Zug im Innenraum mit den farbigen Sitzen.
Petra Rüttimann freut sich, dass die farbigen Kopfpolster auch im Flirt Evo von Thurbo erhalten bleiben. Bild: Keystone, Michael Buholzer

Petra Rüttimann hat die Ostschweiz im Blut. Die 54-Jährige ist in Niederbüren aufgewachsen und lebt zum Zeitpunkt des Interviews im Nachbardorf Oberbüren. Doch arbeitsbedingt zieht es sie und ihren Partner, der bei der SBB Lokführer ist, in den Kanton Bern. Sie reflektiert ihre Rolle innerhalb der SBB, welcher sie seit 1987 treu ist.

 

Wie hat sich Ihre Rolle in der Bahnwelt über die Jahre verändert?
PR: Sowohl meine persönliche, aber auch die Rolle der Frauen generell haben einen starken Wandel erfahren. Zu meiner Anfangszeit war es ein seltenes Bild, wenn eine Frau Bahnbetriebsdisponentin erlernt hat. Der Stellenwert der Frauen ist heute weit höher und die Bahnwelt zum Glück keine reine Männerdomäne mehr. Es freut mich, dass vermehrt Frauen auch in die technischen Sphären der Bahnwelt eintauchen und zum Beispiel als Lokführerinnen arbeiten.



Und wie ist der Stellenwert Ihres Bereichs innerhalb des Beschaffungsprojekts Flirt Evo?
PR: Ich bin stolz, dass die Betriebseinführung und somit auch die Ausbildung mittlerweile stark gewichtet werden. So sind wir voll auf Kurs, dass die notwendige Dokumentation wie die Fahrzeughandbücher frühzeitig erstellt sind. Das war nicht immer selbstverständlich. Das Timing ist auf den Fahrplanwechsel im Dezember ausgerichtet, doch wir brauchen diese Unterlagen bereits einige Monate im Voraus für die Ausbildung. Da RegionAlps ebenfalls Teil des Projekts ist, auch in Französisch.

 

Wann sehen Sie Ihre Aufgabe als erfüllt an?
PR: Wenn die Kund:innen zum ersten Mal in einen Flirt Evo einsteigen, muss alles funktionieren. Kinderkrankheiten wie bei IT-Umstellungen liegen nicht drin. Anders gesagt: Wenn ab Tag eins die Gesichter von Lokpersonal und Kund:innen Freude ausstrahlen, haben wir unseren Job erfüllt.
 

Das Projekt Flirt Evo

SBB, RegionAlps und Thurbo beschaffen gemeinsam 296 Regionalzüge vom Typ Flirt Evo. 107 davon gehen an Thurbo, wobei eine Kaufoption für weitere 40 Fahrzeuge besteht. Die Flirt Evo werden von Stadler in Bussnang hergestellt. Im Falle von Thurbo sind es also Züge aus der Ostschweiz, für die Ostschweiz. Die ersten neuen Züge kommen im Thurbo Land 2026 in den kommerziellen Betrieb. Ab diesem Zeitpunkt wird die aktuelle GTW-Flotte schrittweise ersetzt. Bis alle 107 Flirt Evo im Einsatz sind, dauert es bis Ende der 2030er Jahre.

Lesen Sie auch

  • Andrea Brunner, Sévérine Lieberherr, Jennifer Plecher und Ursula Gamper (von links) gehen auf dem Perron entlang. Im Hintergrund ist ein Thurbo Zug zu sehen.

    Die Taktgeberinnen

    Vier Frauen sorgen bei Thurbo für einen reibungslosen Regionalverkehr.

  • Familie steigt aus dem Zug aus. Sie geht an die Frauen Euro 2025.

    Fussballmärchen mit Vermächtnis

    Während für die UEFA Women's Euro die internationale Elite kommt, ist hierzulande noch wenig von Profitum zu sehen.

  • Zwei Mitarbeitende der Raiffeisenbank Wil und Umgebung fahren vom Bahnhofplatz Wil mit dem Velo in Richtung Bankfiliale.

    Mehr öV, weniger Aufwand

    Das OSTWIND Firmenabo bringt Vorteile für Firmen und Mitarbeitende.