«Die EM ist erst der Anfang»
Karin Bernet und Jana Brunner sprechen im Interview über ihren Alltag als Fussballerinnen, über die Ziele des FC St. Gallen und über ihre Gedanken zur Zukunft des Frauenfussballs in der Schweiz.
Interview: Simea Rüegg

Karin und Jana, wie sieht euer Alltag als Fussballerinnen aus?
Jana: Ich arbeite Vollzeit auf der Geschäftsstelle des FCSG im kybunpark, unweit unserer Trainingsstätte, dem Espenmoos. Nur aufgrund der nahen Wege ist das Arbeitspensum machbar. Ich gehe täglich nach 16 Uhr los und bin pünktlich fürs Training bereit – bis auf Donnerstagabend. Da haben wir «frei» – also Zeit für Regeneration.
Karin: Nach einer Verletzung im Herbst 2024 bin ich seither hauptsächlich mit der Rehabilitation beschäftigt. Sie beginnt jeweils am frühen Abend, nach meinem 80-Prozent-Job im Büro.
Vom Beruf «Fussballerin» ist das weit entfernt.
Karin: Mir gefällt der Ausgleich. Ich könnte nicht nur Fussball spielen. Ein 50-Prozent-Pensum ist aber mein grosser Wunsch – vor allem für die Zukunft. So könnte ich mich mehr auf den Sport konzentrieren und vielleicht ginge dann die Heilung schneller vorwärts.
Jana: Aktuell können wir vom Verdienst im Fussball nicht leben, das können in der Schweiz ohnehin nur wenige Spielerinnen. Beim FC St. Gallen sind einzelne Spielerinnen in der Lage, ihr Arbeitspensum leicht zu reduzieren, und in der Liga ist bei manchen Clubs ein Halbprofitum bereits verbreitet. Die Semiprofessionalität würde uns sicher mehr Zeit für Regeneration und individuelle Trainings geben. Doch ich schätze auch die Arbeit als Ausgleich zum Fussball.

Der nächste Schritt ist, dass noch mehr Leute ins Stadion kommen.
Karin Bernet, Kapitänin FCSG-Frauenequipe
Der FCSG lockt nicht mit hohen Löhnen und Transfersummen. Wie konnte er sich dennoch etablieren?
Karin: Ein wichtiger Punkt ist die langjährige Stabilität im Team. Junge sind geblieben und Erfahrene kehrten in die Ostschweiz zurück. So bauten wir etwas auf und sind erfolgreich.
Jana: Viel Engagement und Unterstützung kamen auch von ausserhalb des Spielfelds. Die Sportchefinnen Patricia Willi und Sandra Egger erarbeiteten ein langfristiges Konzept. Trainerin Marisa Wunderlin und einige Staffmitglieder sind seit längerer Zeit hier. Sie fördern und fordern das Team und jede Spielerin individuell. So gingen wir unseren Weg gemeinsam. Alle stehen füreinander ein – wir versuchen, die aktuelle Entwicklung und die Zukunft so erfolgreich wie möglich zu gestalten.
Ihr setzt auf langfristige Planung. Ein seltenes Bild im Fussball?
Jana: Ja, das ist wohl einzigartig. Mittlerweile werden wir sogar über die Region hinaus interessant für Spielerinnen. Früher zog es wenige nach St.Gallen. Es war eine Illusion, Nicht-Ostschweizerinnen nur mit dem Fussball zu holen. Jetzt merken einige: Das ist ein cooles Projekt, ich will auch Teil davon sein.



Karin Bernet und Jana Brunner sind Botschafterinnen der Host City St. Gallen und freuen sich riesig auf die UEFA Women's Euro 2025
St. Gallen wird also attraktiver für die Athletinnen. Wie sieht es bei den Fans aus?
Karin: In den letzten vier Jahren ging es stetig vorwärts. Spielen wir an einem Sonntagnachmittag im kybunpark statt im Espenmoos, kommen nochmals spürbar mehr Fans ins Stadion.
Jana: Highlight-Spiele wie Cup oder Playoffs sind interessant. Aber der FCSG wird generell als sehr sympathisch wahrgenommen: Wir setzen auf den eigenen Nachwuchs, auf regionale und auf nationale Spielerinnen und geben so der nächsten Generation eine Perspektive.
Wie macht sich dieses gesteigerte Interesse bemerkbar?
Jana: Die Medien nehmen uns vermehrt wahr. Es gibt mehr Interviewanfragen und Berichte. Meine Mutter schickt mir ein Foto von jedem Artikel über mich und meine Mitspielerinnen, den sie in der Zeitung sieht – mittlerweile fast jede Woche einen bis zwei. (lacht)
Karin: Man sieht unsere Spiele und Highlights regelmässig im TV oder online. Das hilft sicher. Der nächste Schritt ist, dass noch mehr Leute ins Stadion kommen und die Spiele vor Ort mitverfolgen.
Wie schafft man das?
Karin: Jeder Verein kann einen Beitrag dazu leisten, dass mehr Spiele in Stadien stattfinden. Dort sind Rasen sowie Fernsehbilder besser. Das steigert die Qualität der Matches automatisch und es wird interessanter für die Zuschauer:innen.
Ihr gehört zu den erfahrenen Spielerinnen beim FCSG. Was hat sich verändert zu früher?
Jana: Sehr viel. Bei meinem Start im Fussball vor 20 Jahren wusste ich nicht, dass es Profispielerinnen gibt. Es gab weder Spiele im TV noch Berichte in der Zeitung. Ich hatte männliche Idole, heute haben die Juniorinnen weibliche. Zudem haben wir heute viel professionellere Bedingungen: Eine eigene Athletiktrainerin, medizinische Betreuung, gut ausgebildete Coaches oder einen eigenen Kraftraum. Vor 20 Jahren waren wir von diesem Setting weit entfernt.
Karin: Das Niveau ist in allen Bereichen gestiegen. Und die Jugendförderung hat sich verbessert. Heute gibt es mehrere reine Mädchenteams. Ich startete bei den Mädchen, durfte allerdings während einigen Jahren auch mit den Jungs zusammenspielen.
Jana: Gleichzeitig darf in Zukunft noch viel passieren.
Zum Beispiel?
Jana: Die Professionalisierung muss weiter voranschreiten. Der Trainingsaufwand ist hoch. Fast jede unserer Mitspielerinnen ist den ganzen Tag am Arbeiten oder Studieren, kommt am Abend spät nach Hause, und am nächsten Tag geht das Programm von vorne los. Zudem braucht es Strukturen für alle Mädchen, die Fussball spielen möchten. Die Nachfrage ist gross und wird nach der EM weiter steigen. Doch viele Sportanlagen sind bereits überlastet. Und wir benötigen mehr Frauen als Trainerinnen, Schiedsrichterinnen und Funktionärinnen.

Ich hoffe, dass es in der Schweiz ein Fussballmärchen gibt.
Jana Brunner, Vize-Kapitänin FCSG-Frauenequipe und Botschafterin der Host-City St. Gallen über die UEFA Women's Euro 2025
Frauenfussball boomt – die Vergleiche zum Männerfussball sind aber nicht selten. Nervt euch das?
Jana: Man muss wegkommen vom Eins-zu-eins-Vergleich mit den Herren. In der Leichtathletik misst man auch nicht die Sprintzeiten der Frauen an denen der Männer. Und im Tennis vergleicht niemand Serena Williams mit Roger Federer. Es ist schade, dass es beim Fussball diesen Vergleich oft gibt.
Der Fussball unterscheidet sich, unter anderem kommen bei den Frauen die Fans noch näher an die Spielerinnen heran. Schätzt ihr diese Nähe?
Karin: Es ist unser Ziel, kleine Mädchen und auch Jungs zu inspirieren. Sie sollen sehen, dass man so Freude am Fussball haben kann. Und wir hoffen, dass auch sie Fussball spielen wollen. Auf jeden Fall fragen uns nach einem Spiel immer mehr Kinder nach Fotos, Schuhen, Autogrammen oder Trikots.
Könnt ihr sie damit beglücken?
Karin: Aktuell erst mit Autogrammkarten oder Fotos.
Jana: Am Wochenende nach dem Spiel fragte ein Junge nach meinen Puma-Handschuhen. Und ein anderer wollte meine Captainbinde. Es war sehr herzig, aber ich brauche beides noch für das nächste Spiel. (schmunzelt)
Und wie sieht es um eure persönliche Zukunft aus?
(lachen) Karin: Das werden wir oft gefragt. Im Moment liegt mein voller Fokus auf meiner aktiven Karriere als Spielerin. Wir absolvierten beide das UEFA-C-Trainerdiplom, aber ob ich später als Trainerin aktiv sein werde, lasse ich noch offen. Der Fussball wird aber sicher weiterhin eine Rolle in meinem Leben spielen.
Jana: Bei mir ist es ähnlich. Momentan geniesse ich es, dass ich Spielerin bin. Danach muss ich erst herausfinden, ob das Trainerinnensein etwas für mich wäre – oder vielleicht eine andere Funktion. Es wäre schön, den nächsten Generationen etwas weiterzugeben.
Vorerst steht aber noch die EM an. Auf was freut ihr euch?
Karin: Ich freue mich auf die Teams, die hier in St. Gallen sind, auf das Erlebnis und die Stimmung. Besonders mit Blick auf die Euphorie, die die letzte EM in England entfachte. Wenn wir das in der Schweiz schaffen, wird es sehr cool.
Jana: Viele Leute, die meinem Gefühl nach mit Fussball wenig am Hut haben, wollen dabei sein und fragen mich nach Tickets. Hoffentlich merken sie im Stadion, wie cool es ist – und dass sie künftig Teil davon sein wollen.tion. Es wäre schön, den nächsten Generationen etwas weiterzugeben.
Das Legacy-Programm zielt auf ein solches bleibendes Vermächtnis ab. Was braucht es, dass das Märchen bleibt?
Jana: Es reicht nicht, dass man sagt: ‹Jetzt kommt die EM und danach gehen alle an die Ligaspiele.› Nach der EM müssen wir dranbleiben: Spiele bewerben, gute Spielstätten schaffen, und auch das Drumherum attraktiver gestalten. So kommen wir in eine Aufwärtsspirale. Denn je mehr Zuschauer es gibt, desto mehr steigen die Wahrnehmung, die Sponsorengelder und schlussendlich die Professionalität.
Zum Schluss: Wer gewinnt die EM?
Jana: Ich denke England oder Spanien.
Karin: Ich bin auch für die Engländerinnen und freue mich, spielen sie in St. Gallen. Sie haben aber eine starke Gruppe mit Frankreich, Holland und Wales. Ich bin gespannt, wer sich in dieser Gruppe durchsetzen wird.
Und wie weit kommt die Schweiz?
Jana: Ich erhoffe mir den Viertelfinal.
Mindestens oder maximal?
Jana und Karin: Mindestens!